Wo scheint die Sonne, selbst wenn es im Rest der Republik regnet? Zumindest für das Tagungswochenende des AKs Psychologie und Mathematikdidaktik scheint die Antwort empirisch abgesichert Rauischholzhausen zu lauten. In guter Tradition trafen sich wieder knapp 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einer intensiven Arbeitstagung, auf der in diesem Jahr Tim Heemsoth, Inga Niedermeyer, Stephanie Schlump und Kathleen Philipp ihre Forschungsarbeiten ausführlich vorstellten. Ein erfreulich breites Spektrum an Forschungsarbeiten zeigte dabei auf, wie die unterschiedlichen mathematikdidaktischen Fragestellungen bearbeitet werden können. Die anschließenden regen und konstruktiven Diskussionen bewerteten alle Vortragenden für die weitere Ausschärfung der Projekte als hilfreich, wie die Rückschau zeigt.
In der Lehr-Lern-Forschung wird der Reflexion von Fehlern ein großes Lernpotenzial zugesprochen. Fraglich ist, inwieweit es den Aufbau negativen Wissens und die mathematische Leistungsentwicklung fördern kann. Es wurde ein Unterrichtsexperiment mit Prä-Post-Design vorgestellt, in dem neun 6. Klassen an einer 12-stündigen Unterrichtsintervention zur Bruchrechnung teilnahmen. Die Schülerinnen und Schüler jeder Klasse wurden zwei unterschiedlichen Lernumgebungen zugeordnet. In der F-Lernumgebung mussten sie fremde Fehler reflektieren und korrigieren; in der K-Lernumgebung korrekte Lösungen reflektieren und nahezu identische Aufgaben neu lösen. Vor und nach der Intervention wurden das Sachwissen und das negative Wissen sowie Kontrollvariablen erhoben.
Die Ergebnisse dieser ersten Studie zeigen, dass in der F-Lernumgebung signifikant mehr negatives Wissen aufgebaut wurde als in der K-Lernumgebung. Für das Sachwissen lässt sich hingegen kein signifikanter Effekt feststellen. Detailliertere Analysen wurden vorgestellt sowie Implikationen für die Forschung und den Unterricht diskutiert.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
Der Arbeitskreis hat konstruktive Vorschläge zu meiner Studie unterbreitet. Insbesondere die Anlage als Interventionsstudie im Klassenkontext wurde positiv bemerkt. Hinsichtlich der theoretischen Vorüberlegungen wurde insbesondere eine stärkere Abgrenzung der Konstrukte "Wissen" und "Negatives Wissen" sowie eine stärkere Klärung ihres Verhältnisses angesprochen. Infolgedessen wurden auch Vorschläge erörtert, inwieweit die Passung zwischen Konstrukten und Messinstrumenten zusätzlich überprüft werden kann.
Als räumliche Perspektivübernahme wird die Fähigkeit bezeichnet, sich vorstellen zu können, wie Gegenstände aus einer anderen Perspektive als der eigenen betrachtet aussehen. Bei Gegenständen mit einer vertikalen Symmetrieebene gibt es zwei Ansichten, die bezüglich einer vertikalen Achse symmetrisch zueinander sind und sich nur durch die Links-Rechts- Ausrichtung unterscheiden. Dies legt die Vermutung nahe, dass sich die Symmetrie von Objekten bei Aufgaben zur räumlichen Perspektivübernahme als erschwerender Faktor erweist und die zueinander symmetrischen Ansichten häufig verwechselt werden. Im Vortrag wurde ein systematisch variiertes Aufgabenset vorgestellt, das in videografierten Interviews mit 95 Schülerinnen und Schülern am Anfang des ersten Schuljahres zur Untersuchung dieser Vermutung eingesetzt wurde. Erste Ergebnisse zeigen wider Erwarten in den Lösungsraten keinen Unterschied zwischen symmetrischen und unsymmetrischen Objekten. Unterschiede in der Art der Fehler sowie den Begründungen der Kinder (für deren Auswertung ein Kategoriensystem entwickelt wurde) spiegeln jedoch die in den Aufgaben berücksichtigten Merkmale wider.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die systematische Variation von Aufgaben zur räumlichen Perspektivübernahme spannende Einsichten liefern kann. Die Rückmeldungen bezogen sich vor allem auf die aktuelle Arbeitsphase, in der die Auswertung und Interpretation der Ergebnisse anstehen. So wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, ob Aufgaben mit symmetrischen und unsymmetrischen Objekten überhaupt dieselben Fähigkeiten beanspruchen oder aber weitere Aspekte zu berücksichtigen sind. Diese und weitere interessante Anregungen werden meine Auswertung bereichern und helfen, die Bedingungen, unter denen räumliche Perspektivübernahme bereits am Schulanfang gelingt, genauer herauszuarbeiten.
Das Problemlösen ist eine der zentralen prozessbezogenen Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler im Mathematikunterricht erlangen sollen. Lehrpersonen sind somit vor die Herausforderung gestellt, ihren Unterricht zur Förderung der Problemlösekompetenz ihrer Schülerinnen und Schüler fachdidaktisch zu strukturieren. Im Vortrag wurde zunächst der Begriff der fachdidaktischen Strukturierung geklärt. Zum Aufbau der Problemlösekompetenz wurden aus theoretischer Perspektive zwei Aspekte unterschieden: Die kurzfristige Strukturierung - mit Blick auf kognitive Aktivitäten von Lernenden während des Problemlöseprozesses - und das Bereitstellen von Heurismen im Sinne eines langfristigen Kompetenzaufbaus. Der Fokus des Vortrages lag auf der Darstellung der empirischen Perspektive des Promotionsprojektes: In einer qualitativen computerbasierten Interviewstudie sollen Erkenntnisse über die handlungsnahen Kognitionen von zwölf erfahrenen Gymnasiallehrkräften zu diesem Thema gewonnen werden. Kern der Interviews bildeten auf theoretischer Grundlage konstruierte Unterrichtsvignetten. Im Vortrag wurden das komplex konstruierte Untersuchungsdesign sowie erste Ansätze zur Auswertungsmethodik vorgestellt.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
In der Diskussion wurde deutlich, dass das auf Grundlage der theoretischen Überlegungen konstruierte Untersuchungsdesign geeignet ist, um die Forschungsfragen zu beantworten. Weiterhin wurden durch die Diskussionsrunde konstruktive Verbesserungsvorschläge für die Auswertungsmethodik geliefert. Als Ausblick wurde auch der potentiell fruchtbare Einsatz von Unterrichtsvignetten in der Lehrerbildung diskutiert.
Mathematikerinnen und Mathematiker formen Hypothesen nicht etwa durch Ableitung aus bestehenden Sätzen, sondern in der quasi-experimentellen Arbeit mit Beispielen. Sie explorieren Gegenstandsbereiche, generieren Hypothesen und überprüfen diese. Solche fundamentalen kognitiven Prozesse sind auch die Grundlage experimentellen Denkens von Schülerinnen und Schülern. In einer Interviewstudie wurden experimentelle Prozesse Lernender analysiert und konzeptualisiert. Auf der Basis eines auf diese Weise empirisch gestützten Theorierahmens "innermathematischen Experimentierens" wurde darüber hinaus eine Lernumgebung zur Förderung experimenteller Prozesse entwickelt. Diese wurde im Rahmen einer Interventionsstudie erprobt. Ergebnisse beider Studien wurden im Vortrag vorgestellt.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
In der Diskussion ergaben sich zwei wesentliche Impulse, die im Hinblick auf mögliche aufbauende Fragestellungen bedeutend sein könnten. Zum einen wäre es auf Basis der Ergebnisse der Studie - des erfolgreichen Trainierens experimenteller Strategien - von großem Interesse, Aussagen über das parallele Erlernen strategischen und inhaltlichen Wissens treffen zu können. Zum anderen wäre zu überlegen, inwiefern das postulierte theoretische Modell innermathematischen Experimentierens neben der Operationalisierung und der Förderung experimenteller Strategien zusätzlich validiert werden könnte, indem beispielsweise weitere Hypothesen zum Zusammenhang mit anderen Merkmalen abgeleitet und überprüft werden.
Herzlichen Dank für die durchweg informativen, professionellen und kurzweiligen Vorträge!
Im Jahr 2013 wird der AK Psychologie und Mathematikdidaktik sich voraussichtlich vom 18.
bis 19. Oktober im Schloss Rauischholzhausen einfinden, um vier neue Projekte ausführlich
zu diskutieren. Dabei soll das Forum wieder für fortgeschrittene oder kurz vor dem Abschluss
stehende Arbeiten offen sein. Ihr Interesse an der Tagung können Sie bei einer der beiden
Sprecherinnen Silke Ruwisch (ruwisch@uni.leuphana.de) oder Anke Lindmeier
(lindmeier@ipn.uni-kiel.de) bekunden. Wir weisen zudem darauf hin, dass die Jahrestagung
2013 der International Group for the Psychology of Mathematics Education (IGPME) - das
internationale Vorbild dieses Arbeitskreises - vom 28. Juli bis 2. August in Kiel stattfinden
wird, so dass hier die Gelegenheit besteht, auch auf internationaler Ebene in fachlichen
Austausch zu treten (www.pme2013.de).