Das Verstehen mathematischer Objekte oder Prozesse ist nicht ohne die Entwicklung und Verwendung von Repräsentationen möglich. Der Einsatz multipler Repräsentationen im Unterricht kann durch moderne Technologien unterstützt werden. Computergestützte Visualisierungen bieten etwa durch Animationen, Interaktivität oder dynamische Übersetzungen zwischen verschiedenen Repräsentations-formen das Potential, tieferes Verständnis zu ermöglichen. Bei Auswahl und Einsatz entsprechender Applikationen muss aber auch die kognitive Belastung und deren didaktische Qualität berücksichtigt werden. Ziel des vorgestellten Teilprojekts des Forschungs- und Nachwuchskollegs "Effektive Kompetenzdiagnose in der Lehrerbildung" (EKoL) ist die Konzeptualisierung fachdidaktischer Kompetenzen von Lehrkräften für die Analyse computergestützter Darstellungen unter Berücksichtigung ihres fachdidaktischen und multimedia-didaktischen bzw. psychologischen Wissens. Für die empirische Überprüfung des Kompetenzmodells werden domänenspezifische Videovignetten, die über Aufnahme des Bildschirms die Nutzung von computergestützten Darstellungen durch Lernende abbilden, zur Kompetenzerfassung entwickelt.
Im Vortrag wurden die für das Forschungsprojekt relevanten theoretischen Grundlagen aufgearbeitet. Dazu wurden zum einen kognitionspsychologische Befunde zum Lernen mit multimedialen und animierten Materialien (Mayer, 2009; Lowe & Ploetzner, 2017) und zum anderen die in der fachdidaktischen Forschung diskutierten Potentiale der Computerunterstützung im Mathematikunterricht (Roth, 2005; Pierce & Stacey, 2010) zusammengestellt. Abschließend wurde ein mögliches Design eines Erhebungsinstruments für die Kompetenz von Lehrkräften zur Analyse computergestützter dynamischer Darstellungen skizziert.
Selbst erstellte Visualisierungen haben das Potential, Lernende beim mathematischen Modellieren zu unterstützen (Rellensmann, Schukajlow & Leopold, 2017; Schukajlow, 2011). Jedoch lassen sich häufig keine positiven Effekte der Aufforderung, eine Visualisierung bzw. Skizze zu erstellen, auf die Leistung von Lernenden beobachten (z. B. De Bock, Verschaffel, Janssens, Van Dooren & Claes, 2003; Van Essen & Hamaker, 1990, Study 1). Im DFG- Projekt ViMo werden Bedingungen untersucht, unter denen Visualisierungsaufforderungen zu Leistungssteigerungen beim Modellieren zum Satz des Pythagoras führen. Im ersten Teil des Vortrags wurden Ergebnisse einer qualitativen Studie präsentiert, in der Lernende bei der Umsetzung der Aufforderung "Zeichne eine Skizze" beobachtet wurden. Es wurden u. a. Hypothesen über die wirksame und nicht wirksame Nutzung einer Skizze im Modellierungsprozess aufgestellt. Im zweiten Teil des Vortrags wurden Ergebnisse einer quantitativen Studie präsentiert, in der Effekte der Aufforderung zum Zeichnen von Skizzen auf die Modellierungsleistung untersucht wurden. Es zeigten sich indirekte Effekte einerseits von der Aufforderung, eine Skizze anzufertigen, und andererseits vom vorliegenden individuellen Skizzenwissen auf die Leistung. Beide Effekte wurden über die Qualität der erstellten Skizzen mediiert.
Im zweiphasige Instruktionsmodell Productive Failure (z. B. Kapur & Bielaczyc, 2012; Loibl, Roll & Rummel, 2017) generieren die Lernenden in einer Entdeckungsphase eigene Lösungsideen. In der anschließenden Konsolidierungsphase werden die intendierten Konzepte eingeführt und die richtige Lösung hergeleitet. Bisherige Forschung deutet darauf hin, dass in dieser zweiten Phase das Aufgreifen typischer fehlerhafter Schülerlösungen ein lernrelevantes Element ist, um eine Fehlerverarbeitung und damit ein tieferes Verständnis anzuregen (Loibl & Rummel, 2014). Es ist anzunehmen, dass diese Fehlerverarbeitung in Inhaltsbereichen, in denen viele Grundvorstellungs-umbrüche auftreten (z. B. Brüche, Prediger, 2008), besonders relevant sein sollte. Vor diesem Hintergrund lautete unsere Forschungsfrage: Wie wirkt die Anregung von Fehlerverarbeitungsprozessen nach einer Entdeckungsphase zum Bruchvergleich auf den Lernerfolg?
In einer Interventionsstudie mit 200 Kindern der 5. Jahrgangsstufe wurden 3 Bedingungen verglichen, die sich darin unterschieden, inwiefern eine Fehlerverarbeitung ermöglicht und/oder angeregt wurde: Die Lernenden der Kontrollbedingung arbeiteten in der Konsolidierungsphase ausschließlich mit richtigen Lösungen. Die Lernenden der Fehlerbedingung erhielten zusätzlich Beispiele von typischen fehlerhaften Lösungsansätzen. Die Lernenden der Promptbedingung wurden explizit aufgefordert richtige und fehlerhafte Lösungsbeispiele zu vergleichen. Die Lernergebnisse zeigten, dass das Einbringen fehlerhafter Lösungen in der Konsolidierungsphase lernförderliche Effekte haben kann, wenn die Lernenden explizit dazu angeregt werden, diese fehlerhaften Lösungsansätze mit den richtigen Lösungen zu vergleichen. Die Konfrontation mit Fehlern ist folglich nicht automatisch lernförderlich.
Neben diesen Lernergebnissen wurden Prozessdaten vorgestellt und diskutiert. Die Prozessdaten bezogen sich auf die beiden Phasen. Hinsichtlich der Entdeckungsphase wurde aufgezeigt, dass sich ein Großteil der Fehler den bekannten Fehlerkategorien aus der Literatur zuordnen ließ (vgl. Eichelmann, Narciss, Schnaubert & Melis, 2012). Hinzu kamen wenige Fehler, die durch den Kontext der Aufgabe provoziert wurden (vgl. Prediger, 2011 für eine tiefergehende Analyse kontextbezogener Bearbeitungen bei der gestellten Aufgabe). Die Tatsache, dass der Großteil der Fehler in der Konsolidierungsphase im Rahmen der typischen fehlerhaften Lösungsbeispiele aufgegriffen wurde, stärkt den gewählten Forschungszugang, da die Lernenden offensichtlich mit für sie relevanten falschen Lösungsbeispielen konfrontiert wurden. Hinsichtlich der Konsolidierungsphase wurde untersucht, inwiefern die Lernenden der Fehlerbedingung eigenständig Fehlerverarbeitungsprozesse explizierten. Dies taten nur die wenigsten Lernenden, was das vergleichsweise schlechte Abschneiden dieser Bedingung erklären kann.
Das Formulieren und Absichern mathematischer Vermutungen stellt eine komplexe Tätigkeit dar, die verschiedene kognitive Prozesse wie das Generieren von Beispielen und das Zusammenführen einzelner Teilargumente zu einem Beweis umfasst (u. a. Boero, 1999). In kooperativen Settings kommen zudem sozial-diskursive Anforderungen wie das Bewerten und Integrieren der Argumente des Gegenübers hinzu (u. a. Kollar et al., 2014; Roschelle & Teasley, 1995). Derzeit finden sich in der Literatur allerdings nur vereinzelt Hinweise, welche Argumentations- und Beweisprozesse in Hinblick auf den Erfolg von zentraler Bedeutung sind.
Im Rahmen der Herbsttagung wurde ein Analyseinstrument zur Erfassung individuell- kognitiver und sozial-diskursiver Prozessindikatoren mathematischen Argumentierens und Beweisens vorgestellt. Mithilfe dieses Analyseinstruments wurden in einer empirischen Studie sieben Indikatoren für kooperative Argumentations- und Beweisprozesse von N = 98 Studienanfängerinnen und -anfängern, die in Paaren eine Aufgabe bearbeiteten, erhoben. Im Anschluss wurden die Indikatoren auf Zusammenhangsmuster sowie ihre Bedeutung für die Qualität des finalen Beweises hin untersucht. Es zeigte sich, dass kooperativen Argumentations- und Beweisprozessen eine mehrdimensionale Struktur zugrunde liegt, wobei zwischen einer individuell-kognitiven und einer sozial-diskursiven Komponente unterschieden werden kann. Zudem weisen die Ergebnisse darauf hin, dass individuell-kognitive Prozessindikatoren prädiktiv für die Qualität des resultierenden Produktes sind und den Einfluss der individuellen Argumentationskompetenz auf die tatsächliche Leistung (Performanz) mediieren. Dabei spielt das Generieren inhaltlich-korrekter und strukturell vollständiger Argumente während des Diskurses eine wesentliche Rolle.