Lernende zeichnen selten spontan Skizzen zu mathematischen Modellierungsaufgaben, obwohl dieser Strategie das Potenzial zugesprochen wird, die Modellierungstätigkeit auf vielfältige Weise zu unterstützen (Schukajlow, 2011; Uesaka, Manalo & Ichikawa, 2010). Unter anderem gelten das Skizzenwissen sowie motivationale Aspekte als Einflussfaktoren der spontanen sowie effizienten Strategienutzung (Acevedo Nistal, Van Dooren, Clarebout, Elen & Verschaffel, 2009). In dem Vortrag wurden zwei Studien vorgestellt, die jeweils einen dieser Faktoren in den Mittelpunkt stellten.
Im ersten Vortragsteil wurden Ergebnisse einer experimentellen Studie zu dem Einfluss des Skizzenwissens (Rellensmann, Schukajlow & Leopold, 2019) auf die Modellierungsleistung vorgestellt. In der Studie wurde Lernenden der Experimentalbedingung Skizzenwissen zu situationalen oder/und mathematischen Skizzen vermittelt. Es zeigte sich, dass das Skizzenwissen durch die 90-minütige Intervention im Vergleich zu einer Kontrollgruppe gefördert werden konnte. Es zeigte sich kein totaler Effekt der Förderung des Skizzenwissens auf die Modellierungsleistung. Die Förderung des Skizzenwissens hatte jedoch einen positiven indirekten Effekt auf die Modellierungsleistung, der vollständig durch die Skizzenqualität mediiert wurde.
In der zweiten Studie stand der Einfluss von Motivation (Erwartungs-Wert-Theorie nach Wigfield & Eccles, 2000) auf die spontane Skizzennutzung im Mittelpunkt. Während bislang lediglich der Einfluss mathematikbezogener Motivation auf die (selbst berichtete) Nutzung von Lernstrategien systematisch untersucht wurde, wurde auf dem Arbeitskreis ein Instrument zur Messung strategiebezogener Motivation zum Zeichnen von Skizzen beim mathematischen Modellieren vorgestellt. Es konnte gezeigt werden, dass sich mathematik- und strategiebezogene Motivation empirisch voneinander trennen lassen und sich in ihrem Zusammenhang mit der tatsächlichen Skizzennutzung beim mathematischen Modellieren unterscheiden.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
Die anschließende Diskussion lässt sich entsprechend der Struktur des Vortrags in zwei Teile unterteilen. In Bezug auf die erste Studie wurde diskutiert, das Skizzenwissen zu situationalen und mathematischen Skizzen zweidimensional zu erfassen, um differentielle Effekte der Experimentalbedingungen untersuchen zu können. Darüber hinaus wurden die vielversprechenden Anregungen gegeben, mögliche Moderatoren (z.B. das mathematische Wissen der Lernenden) in die Analysen einzubeziehen und die Mediationsanalyse auf der Aufgabenebene durchzuführen.
In der Diskussion der zweiten Studie zum Zusammenhang von Motivation und Skizzennutzung wurde der Unterschied zwischen den strategie- und mathematikbezogenen Wertvariablen theoretisch und bezüglich der Operationalisierungen fokussiert. Während der mathematikbezogene Wert entsprechend der Forschungstradition allgemein erfasst wurde, wurde der skizzenbezogene Wert spezifischer mit dem Fokus auf das Bearbeiten schwieriger Textaufgaben erfasst. Interessant wäre es hier, den mathematikspezifischen Wert ebenfalls mit Bezug zu schwierigen Textaufgaben zu erheben, um den Einfluss der gewählten Operationalisierungen abzuschätzen. Für einzelne motivationale Subkonstrukte wurde diskutiert, ob Zusammenhänge zwischen mathematik- und strategiebezogener Motivation auf übergeordnete, generalisierbare Faktoren hinweisen könnten.
Die Auswahl und Modifikation von Mathematikaufgaben setzen bei Lehrkräften eine adäquate Einschätzung von Aufgabenschwierigkeiten voraus. Neben der Komplexität des mathematischen Inhalts (z.B. Addition gleichnamiger vs. ungleichnamiger Brüche) wird die Schwierigkeit von Aufgaben unter anderem auch von instruktionalen Merkmalen bestimmt, die gemäß der Cognitive Load Theorie (CLT) die kognitive Belastung von Lernenden beim Lösen der Aufgabe beeinflussen (z.B. split-attention vs. integrated format; Sweller, Ayres & Kalyuga, 2011). Studien zur Urteilsgenauigkeit belegen jedoch, dass Lehrkräfte sich bei der Einschätzung der Aufgabenschwierigkeit insensitiv gegenüber dem Instruktionsdesign zeigen (Hellmann & Nückles, 2013). Wenig bekannt ist bisher über die kognitiven Prozesse, die diagnostischen Urteilen zugrunde liegen (Leuders, Dörfler, Leuders & Philipp, 2018).
Im Rahmen der auf der Herbsttagung vorgestellten Studie wurde untersucht, welche schwierigkeitsgenerierenden Aufgabenmerkmale (fachliche vs. instruktionale) von Lehrkräften beim Diagnostizieren der Aufgabenschwierigkeit wahrgenommen und verarbeitet werden. Ebenfalls wurden potentielle Einflüsse durch bestimmte Personencharakteristika der Lehrkraft (PCK/PK, Berufserfahrung) auf die Wahrnehmung und Verarbeitung von Aufgabenmerkmalen fokussiert. Die Studie wurde mit 55 Lehramtsstudierenden und 35 Lehrkräften durchgeführt. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass sowohl Lehrkräfte als auch Studierende überwiegend die Schwierigkeit der fachlichen, jedoch kaum die Schwierigkeit der instruktionalen Aufgabenmerkmale wahrnehmen und verarbeiten. Entgegen der Erwartung zeigte sich, dass beide Teilnehmergruppen über ein vergleichbar hohes PCK/PK bzgl. schwierigkeitsgenerierender Aufgabenmerkmale im Bereich der Bruchrechnung und des Instruktionsdesigns verfügen. Diese Ergebnisse warfen die Frage auf, warum (angehende) Lehrkräfte bei der Schwierigkeitseinschätzung von Aufgaben kaum instruktionale Merkmale wahrnehmen, obwohl sie über ein ausgeprägtes PK in diesem Bereich verfügen? Neben möglichen Ansätzen zur Interpretation der Ergebnisse wurden im Vortrag Implikationen für weitere Studien präsentiert und anschließend diskutiert.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
Im ersten Teil der Diskussion wurde zunächst das methodische Design der Studie diskutiert. Das gewählte methodische Vorgehen der systematischen Variation von fachlichen und instruktionalen Aufgabenmerkmalen in einem within-subject Design wurde hierbei als geeignet angesehen und Ideen für weiterführende Auswertungen und Folgeerhebungen (z.B. mit einer "first-rate-then-rank" Vorgehensweise oder Conjoint Analysen) geäußert. Weiterhin wurden theoretische Aspekte und Begriffe (z.B. "Wahrnehmen/Interpretieren/Entscheiden" und "PCK/PK") sowie deren inhaltliche Abgrenzung im Rahmen der Studie diskutiert. Als hilfreich für meine weitere Arbeit schätze ich darüber hinaus die Rückmeldungen hinsichtlich der theoretischen Grundlagen ein, die als Erklärungsmöglichkeiten für die Ergebnisse der Studie herangezogen werden könnten. Die Unterscheidung von "informed vs. uninformed teacher judgments" (Südkamp, Kaiser & Möller, 2012) erschien hierbei eine plausible Option, die nicht nur zur Interpretation der bestehenden Daten, sondern auch als Impuls für weitere Untersuchungen genutzt werden könne.
Ich bedanke mich bei allen Beteiligten für die gewinnbringende Diskussion sowie bei der Leitung des AK Psychologie und Mathematikdidaktik für die Gelegenheit, meine Studie präsentieren zu können.
Wie können Lernende im Mathematikunterricht motiviert werden? Lernprozesse können qualitativ besser umgesetzt werden können, wenn Lernende sich um ihrer selbst willen mit den fachlichen Inhalten in Mathematik auseinandersetzen. Daher ist die Hervorhebung von persönlicher Relevanz eine Möglichkeit zur Förderung von Lernmotivation beim Mathematiklernen. Nach der Selbstbestimmungstheorie (Ryan & Deci, 2017) haben die persönlichen Relevanzen von Lernenden einen maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung von Lernmotivation. Aus mathematikdidaktischer Sicht repräsentieren Sinnkonstruktionen persönliche Relevanzen von Lernenden für die Auseinandersetzung mit Mathematik im schulischen Kontext (Vollstedt, 2011). Im Vortrag wurde zunächst ein hypothetisches Vernetzungsmodell vorgestellt, dass die verschiedenen theoretischen Bezugslinien durch die Networking of Theories-Strategy Combining (Bikner-Ahsbahs & Prediger, 2006) synthetisiert. Sinnkonstruktion (persönliche Relevanz beim Mathematiklernen) kann damit als Gegenstand der Selbstbestimmungstheorie beschrieben werden. Im Rahmen einer empirischen Studie in Deutschland und Finnland (N = 532) wird der hypothetische Zusammenhang untersucht und es soll aufgezeigt werden, inwieweit Sinnkonstruktionen Gegenstand selbstbestimmter Motivation sein können. Im Vortrag wurden erste Analysen auf Basis von Strukturgleichungsmodellen vorgestellt.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
Im Rahmen der Diskussion wurden zunächst mit Hilfe des vorgestellten hypothetischen Vernetzungsmodells die angenommenen Kausalhypothesen und das bisher durchgeführte methodische Vorgehen reflektiert. Dabei wurde auch thematisiert, inwieweit Sinnkonstruktion sich konzeptuell von anderen Konstrukten aus dem Bereich Affekt beim Mathematiklernen, wie bspw. von Werten unterscheidet, um ihre Rolle bei der Aufklärung von Lernmotivation (Qualität der Motivation) adäquat beschreiben zu können. Zusätzlich wurden spezifische Hinweise für die Weiterentwicklung der bisher durchgeführten statistischen Auswertungen und Analysen gegeben und in diesem Zuge diskutiert, wie die Herausforderungen einer Operationalisierung mehrfaktorieller (> 6) latenter Konstrukte adressiert werden können. Die vorläufigen Ergebnisse und ihre möglichen Interpretationen wurden anschließend einer differenzierten Betrachtung unterzogen. Die Anlage als kulturvergleichende Studie mit dem Potenzial, auch die Stabilität der Erkenntnisse in verschiedenen Kontexten zu prüfen, wurde hervorgehoben. Zusammenfassend hat die Diskussion durch konstruktive Impulse dazu beigetragen, die weiteren Auswertungen zu verfeinern und die Argumentationslinie der Studie im Bereich der Lernmotivation im Fach Mathematik weiter zu schärfen.
Dass die Bruchrechnung Lernende vor Herausforderungen stellt (z.B. Ni & Zhou, 2005), ist ebenso gut gesichert wie die Bedeutung des Bruchzahlkonzepts für das spätere Lernen von Mathematik (Bailey, Hoard, Nugent & Geary, 2012). Zeitgleich baut der Erwerb des Bruchzahlkonzepts auf einer Reihe von individuellen Lernvoraussetzungen auf (z.B. Hansen et al., 2015), wobei verschiedene Forschungstraditionen unterschiedliche Konstrukte in den Blick nehmen. Unklar ist bislang, in welcher Beziehung diese Lernvoraussetzungen zueinanderstehen und inwiefern sie Unterschiede für den Bruchzahlerwerb vorhersagen. Im Rahmen des Forschungsprojektes EWIWE wurde daher das Zusammenspiel zwischen verschiedenen und bislang insbesondere in der internationalen Literatur benannten Lernvoraussetzungen und Kenntnissen im Bereich der Bruchrechnung untersucht. Hierbei wurden sowohl Lernvoraussetzungen zu mathematischen Konzepten (z.B. proportionales Schließen) als auch basale Zahlverarbeitungsmaße aus der psychologischen Forschungstradition (z.B. spontanes Fokussieren auf Mengen und Relationen) berücksichtigt. In Bezug auf die konzeptbezogenen Lernvoraussetzungen wurden erstmals auch informelle Vorkenntnisse zu einfachen Brüchen, wie sie in der deutschsprachigen Mathematikdidaktik seit langem beschrieben werden, systematisch untersucht.
Im Rahmen der vorgestellten Studien wurden die Fragestellungen zur Prädiktivität der Lernvoraussetzungen zunächst mit linearen Regressions- und Mediationsanalysen untersucht. Hierbei konnten insbesondere die Lernvoraussetzungen zu mathematischen Konzepten als Prädiktoren für den Erwerb des Bruchzahlkonzepts bestätigt werden. Die basalen Zahlverarbeitungsmaße zeigten dagegen - wenn überhaupt - einen indirekten Einfluss auf den Erwerb des Bruchzahlkonzepts. Über diese Analysen hinaus wurde explorativ untersucht, inwiefern Stufenmodelle im Vergleich zu linearen Regressionsmodellen eine differenziertere Beschreibung der Zusammenhänge zwischen den Lernvoraussetzungen und den Lernergebnissen aus der Bruchrechnung erlauben. Hierfür wurden zunächst exemplarisch die auf Basis von Raschanalysen und mit Hilfe eines Standard-Setting Verfahrens entwickelten Stufenmodelle zum proportionalen Schließen und den Bruchzahlaspekten vorgestellt, bevor daran anschließend die Ergebnisse der nichtparametrischen bivariaten Regressionsanalysen vorgestellt wurden. Das zusätzliche Potential dieser explorativen Methodik wird darin gesehen, dass über einfache lineare Zusammenhänge hinaus weitere Strukturen sichtbar gemacht werden können. Auf diese Weise konnte beispielsweise aufgezeigt werden, dass in Bezug auf das proportionale Schließen insbesondere für das Bewältigen von Anforderungen zu natürlichen und rationalen Mengenverhältnissen in verschiedenen Kontextsituationen ein Lernfortschritt im Bereich der Bruchrechnung zu erwarten ist.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
Für die neu entwickelten Erhebungsmaße zum spontanen Fokussieren auf Mengen und Relationen wurden Erhebungsmodalitäten sowie die vorgenommene Kodierung thematisiert. Es wurde hervorgehoben, dass in der Studie gezielt eine Verbindung zwischen Erkenntnissen der mathematikdidaktischen und psychologischen Forschungstradition angestrebt wird. In Bezug auf die Ergebnisse der linearen Regressionsanalysen wurde insbesondere über weitere, curricular derzeit noch weniger valide Outcomemaße (z.B. Verortung von Brüchen am Zahlenstrahl) diskutiert, die vermutlich stärker mit den basalen Zahlverarbeitungsmaßen zusammenhängen könnten. Die methodische Innovation der Stufenmodelle wurde mit Interesse aufgenommen. Im Zusammenhang damit wurde unter anderem das methodische Verfahren für das Generieren der Stufen vertieft diskutiert. Zusammenfassend stellte sich in der Diskussion heraus, dass das Dissertationsprojekt das Potenzial hat, innovative Erkenntnisse zum Erwerb des Bruchzahlkonzepts und dazu eine erste Integration mathematikdidaktischer und psychologischer Forschungstraditionen zu liefern.