Tagung 2018

Katja Lenz, Anika Dreher, Lars Holzäpfel & Gerald Wittmann, PH Freiburg

Entwicklung und Validierung eines Testinstruments zur Erfassung von konzeptuellem und prozeduralem Wissen im Bereich der Bruchrechnung

Es herrscht Konsens darüber, dass mathematisches Wissen sowohl konzeptuelles als auch prozedurales Wissen umfasst (Hiebert & LeFevre, 1986; Geary et al., 2008). Trotz der Vielzahl an Forschungsarbeiten zu konzeptuellem und prozeduralem Wissen bleibt die Verwendung der Begriffe zum Teil vage und es fehlen explizite domänenspezifische Konzeptualisierungen (Crooks & Alibali, 2014). Darüber hinaus betonen Rittle-Johnson und Schneider (2015), dass der Validität bei der Messung der Wissensarten bislang zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Das vorgestellte Projekt zielt auf dieses Forschungsdesiderat am Beispiel der Addition und Subtraktion von Brüchen. Es wurde eine theoretisch fundierte, umfassende Konzeptualisierung von konzeptuellem und prozeduralem Wissen entwickelt sowie eine systematische Operationalisierung und Validierung vorgenommen. Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalyse bestätigten eine Überlegenheit der angenommenen zweidimensionalen Faktorenstruktur gegenüber einer eindimensionalen Modellierung und anderen theoretisch plausiblen zweidimensionalen Modellierungen.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
Die anschließende Diskussion bezog sich zunächst auf die Konzeptualisierung der Konstrukte. Dabei wurde unter anderem thematisiert, an welchen Stellen die vorgenommene Konzeptualisierung und Operationalisierung aus mathematikdidaktischer Sicht von der psychologischen Perspektive abweicht. Insbesondere wurde deutlich, dass Konzeptualisierung und Operationalisierung der Konstrukte stärker vor dem Hintergrund der angestrebten Testnutzung gesehen werden müssen, um die Frage "Warum genau so?" besser beantworten zu können. Entsprechend wurde angeregt, den Zweck der Testentwicklung - die Klassifizierung von Schüler*innen nach ihren individuellen Unterschieden im konzeptuellen und prozeduralen Wissen zu Brüchen sowie die Erfassung der Auswirkungen von spezifischen Lerngelegenheiten auf die beiden Konstrukte - expliziter zu benennen, damit bezogen auf die Testwertinterpretation und -nutzung ein umfassenderes Validitätsargument entwickelt werden kann.
Ein weiterführendes Thema der Diskussion betraf die grundsätzliche Frage, ob Unterschiede in den Testwerten auf individueller Ebene interpretiert werden können oder ob eine Interpretation auf Klassenebene angemessener wäre. Unterschiede in den Testwerten wären dann als Effekte von Unterschieden im Unterricht der Kinder zu interpretieren.
Hierzu wurden unterschiedliche Lösungsansätze diskutiert (z.B. experimentelle Herangehensweise, Analyse der Korrelationen innerhalb der Klassen und zwischen den Klassen, Berücksichtigung von Kovariaten).
Insgesamt hat die Diskussion dazu beigetragen, die Argumentationslinie weiter zu schärfen, und gab wichtige Impulse für die Weiterarbeit.

Katharina Siefer, Timo Leuders & Andreas Obersteiner, PH Freiburg

Kompetenzprofile beim Umgang mit linearen Funktionen: Selbstwirksamkeitserwartungen und Leistung

Der Umgang mit Funktionen in ihren verschiedenen Repräsentationen gehört zu den zentralen Kompetenzbereichen des Mathematikunterrichts. Kompetenzen sind als individuelle Ausprägungen nicht nur kognitiver sondern auch nicht-kognitiver Dispositionen (Blömeke, Gustafsson, & Shavelson, 2015; Weinert, 2001), wie beispielsweise Selbstwirksamkeitserwartungen, zu verstehen. Selbstwirksamkeitserwartungen haben einen entscheidenden Einfluss auf das Lernen (Talsma, Schüz, Schwarzer, & Norris, 2018).
Mathematische Selbstwirksamkeitserwartungen werden definiert als die eigene Einschätzung der Fähigkeiten, bestimmte mathematische Aufgaben erfolgreich bearbeiten oder lösen zu können (Hackett & Betz, 1989). In der vorgestellten Studie wurden Leistungen und Selbstwirksamkeitserwartungen beim Umgang mit linearen Funktionen von 376 Lernenden im 8. und 9. Schuljahr anhand derselben Aufgaben untersucht. Dazu wurde ein Erhebungsinstrument zur aufgabenbezogenen Erfassung von Selbstwirksamkeitserwartungen (Bandura, 2006) beim Umgang mit linearen Funktionen entwickelt.
In Übereinstimmung mit der Literatur zeigten die Daten im Querschnitt einen moderaten Zusammenhang zwischen Leistung und Selbstwirksamkeitserwartungen. Mittels hierarchischer Clusteranalyse konnten Gruppen mit unterschiedlichen Ausprägungen in Leistung und Selbstwirksamkeitserwartungen identifiziert werden. Die Ergebnisse sind für die Unterrichtspraxis relevant, da Lernende mit unterschiedlichen Kompetenzprofilen aus Selbstwirksamkeitserwartungen und Leistung von unterschiedlichen Fördermaßnahmen profitieren sollten.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
Anfangs wurde diskutiert, inwieweit sich das verwandte psychologische Konstrukt des Selbstkonzepts von den Selbstwirksamkeitserwartungen unterscheidet. Es wurde darauf hingewiesen, dass häufig beide Konstrukte nicht sauber getrennt werden, was zu verzerrten Ergebnissen führen kann (Honicke & Broadbent, 2016). Neben Unterschieden in der Art der Erhebung (aufgabenspezifische Erfassung vs. Erfassung als generelle Überzeugung) wurden auch empirische und theoretische Argumente angeführt.
Ein zweiter Diskussionspunkt betraf die Auswertungsmöglichkeiten, die sich aus der Erfassung der Selbstwirksamkeitserwartungen und Leistungen anhand derselben Aufgabe ergeben. Beispielsweise könnte die Genauigkeit der Schülereinschätzungen abgebildet werden.
Es folgte eine Diskussion zur Erstellung der Cluster für die Charakterisierung von Gruppen unterschiedlicher Kompetenzprofile, was ein methodisch herausforderndes Problem darstellt. Dadurch, dass Leistung und Selbstwirksamkeitserwartungen in einer Beziehung zueinander stehen, muss die gemeinsame Varianz in den beiden Variablen berücksichtig werden. Die vorgestellte Methode wurde diskutiert und verschiedene Alternativen wurden hervorgebracht. Abschließend lässt sich sagen, dass zentrale Erkenntnisse aus der Diskussion gezogen wurden, die es nun ermöglichen, die weitere Auswertung zu verfeinern und die Argumentationslinie zu stärken.

Eva Treiber, Irene Neumann & Aiso Heinze, IPN Kiel

Mathematik in der PhysikOlympiade unter besonderer Berücksichtigung der Attribution

Der Schülerwettbewerb PhysikOlympiade möchte begabte Jugendliche für Physik interessieren und fördern (Petersen & Wulff, 2017). Da die anspruchsvollen Physikaufgaben auch Mathematisierungen erfordern, können die Jugendlichen an der Physik, aber auch an der Mathematik scheitern, selbst wenn sie physikalisch kompetent sind.
Das vorgestellte Promotionsprojekt untersucht vor diesem Hintergrund die mathematischen Anforderungen in der PhysikOlympiade aus zwei Perspektiven: Zum einen stellt sich die Frage, wie die Teilnehmenden durch ihren Unterricht auf die mathematischen Anforderungen vorbereitet werden. Zum anderen soll erforscht werden, wie die Jugendlichen ihren (Miss )Erfolg auf mathematische oder physikalische Ursachen attribuieren und wie diese Attributionen ihr mathematisches bzw. physikalisches Selbstkonzept beeinflussen.
Zunächst wurden Musterlösungen der Olympiaden-Aufgaben hinsichtlich ihrer mathematischen Anforderungen sowie deren Abdeckung durch die gymnasialen Mathematiklehrpläne in vier Bundesländern analysiert. Dabei zeigt sich die Bedeutung der Mathematik für die PhysikOlympiade (wie für die Physik allgemein, z. B. Karam, 2014). Zwar reichen für die erste Runde mathematische Kenntnisse aus der Sekundarstufe I, die mathematischen Anforderungen der höheren Runden gehen jedoch über die aus dem Unterricht bekannten Inhalte hinaus.
Zusätzlich wurde zu mehreren Zeitpunkten im Wettbewerbsverlauf, neben anderen affektiven Variablen, die Attribution des (Miss-)Erfolgs der Teilnehmenden (z. B. Weiner, 2010) erfasst, sowohl auf Mathematik als auch auf Physik bezogen. Die vorgestellten Ergebnisse konzentrierten sich auf die Daten von 170 Teilnehmenden der ersten Runde (davon 97 für die zweite Runde qualifiziert). Sowohl bei erfolgreichen als auch bei ausgeschiedenen Teilnehmenden wurden selbstwert-dienliche Attributionsmuster sichtbar. Außerdem zeigte sich bei der Attribution eine Unterscheidung von Mathematik und  Physik: Während erfolgreiche Teilnehmende ihr Weiterkommen signifikant höher auf die Mathematik als auf die Physik in den Aufgaben zurückführten, attribuierten erfolglose ihr Ausscheiden stärker auf die Physik als auf die Mathematik in den Aufgaben - ein Ergebnis, das sich vermutlich mit den niedrigen mathematischen Anforderungen der ersten Runde erklären lässt.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
Im Anschluss an die Aufgabenanalyse war ein zentraler Diskussionspunkt, ob die Teilnehmenden die benötigte Mathematik im Mathematik- oder im Physikunterricht lernen. Es wurde vermutet, dass Lehrkräfte sich stark darin unterscheiden, zu welchem Grad ihr Physikunterricht der Sekundarstufe I mathematisiert ist. Es wäre interessant zu erheben, inwiefern sich diese Unterschiede bei betreuenden Lehrkräften in der PhysikOlympiade widerspiegeln oder ob vor allem Schüler und Schülerinnen an der PhysikOlympiade teilnehmen, deren Physikunterricht stärker mathematisiert ist. Ebenso wurde angeregt, dass eine Analyse von Lösungen der Teilnehmenden Einblicke geben könnte, wie die Mathematik zum Modellieren genutzt wird.
Für die Auswertung und Interpretation der Ergebnisse wurde darauf hingewiesen, dass sich nicht nur die Teilnehmenden unterscheiden (beispielsweise hinsichtlich der Vorkenntnisse), sondern sich auch die Rahmenbedingungen im Lauf der Olympiade ändern (Bearbeitung als Einzelperson vs. Seminarwochen, absolutes vs. relatives Auswahlkriterium). Diese Aspekte sollten in weiteren Analysen einbezogen werden, da Attributionen sich dann beispielsweise auch durch den Vergleich mit der Lerngruppe ändern können. Zusammenfassend hat die Diskussion das Projekt insgesamt bestärkt und Anregungen für die Auswertung sowie mögliche weiterführende Studien gegeben.

Silke Neuhaus & Stefanie Rach, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Beweisverständnis von Studierenden in der Studieneingangsphase

Beweisen bereitet Studierenden gerade zu Beginn ihres Studiums oftmals große Schwierigkeiten. Studierende müssen sowohl eigenständig Beweise konstruieren, validieren und evaluieren können als auch ein Beweisverständnis aufbauen. Darunter versteht man, dass sie korrekt aufgeschriebene Beweise lesen und verstehen können.
In diesem Vortrag wurde mein Dissertationsprojekt vorgestellt, bei dem ich das Beweisverständnis von Fach- und Lehramtsstudierenden in der Eingangsphase eines Mathematikstudiums analysiere. Neben der Vorstellung einer Arbeitsdefinition zur Konzeptualisierung von Beweisverständnis wurde auch eine Operationalisierung mittels Testinstrumenten vorgestellt, die sich an ein Assessmentmodell von Mejia Ramos et al. (2012) anlehnt. In den bisherigen quantitativen Studien wurden diese Tests genutzt, um Zusammenhänge zwischen dem Beweisverständnis und anderen Merkmalen von Studierenden, wie zum Beispiel Begriffswissen, Fachinteresse oder dem Nutzen von Beweislesestrategien, zu untersuchen und mögliche Prädiktoren für das Beweisverständnis zu ermitteln. Auf diese Weise können Ansatzpunkte für eine verbesserte Diagnose von Schwierigkeiten sowie eine bessere Unterstützung von Lernprozessen in der Studieneingangsphase erlangt werden. Erste Ergebnisse der bisherigen Studien wurden gezeigt und diskutiert.
Kernpunkte der Diskussion und neue Perspektiven
In der Diskussion wurden hilfreiche Anregungen für eine Weiterentwicklung der Arbeitsdefinition von Beweisverständnis gegeben, die nun in nächster Zeit theoretisch ausgeschärft wird. Da die auf Basis des Assessmentmodells von Mejia Ramos et al. (2012) konstruierten Beweisverständnistests nur einen Beweis aus einem mathematischen Fachbereich beinhalten, ist es schwierig, aus den vorgestellten Ergebnissen zu generalisieren. In der Diskussion wurde überlegt, wie man Beweisverständnis allgemeiner erfassen könnte und ob das Assessmentmodell von Mejia-Ramos et al. (2012) erweitert werden sollte. Außerdem wurden die Auswirkungen des Forschungsprojekts auf die Mathematikdidaktik, spezieller auf die Hochschullehre im Bereich Mathematik, erfragt. Durch die Analyse der Zusammenhänge zwischen Beweisverständnis und anderen individuellen Merkmalen von Studierenden könnte erstens das theoretisch ausgeschärfte Konzept des Beweisverständnisses empirisch fundiert werden und zweitens könnten mögliche Prädiktoren für Beweisverständnis ermittelt werden. Gerade das Vorwissen der Studierenden im untersuchten mathematischen Beweis und z. T. Beweislesestrategien scheinen das Beweisverständnis zu prädizieren. Basierend auf diesen Erkenntnissen könnten dann gezielte Fördermaßnahmen entwickelt werden, indem sowohl das Begriffswissen als auch Strategien zum Umgang mit Beweisen adressiert werden. Insgesamt war die Diskussion gewinnbringend für die weitere Arbeit an diesem Promotionsprojekt und brachte zusätzliche Impulse für die Forschung im Bereich des Beweisens.